Arbeiten auf Karton
Daniela Wolfer aka Dirty Daniela
Was macht man in Stuttgart als Studentin der Kunstakademie, wenn einem die Decke dieses Elfenbeinturms der schönen Künste auf den Kopf fällt und einem nichts mehr zur eigenen künstlerischen Arbeit einfällt?
Mit dieser Frage war Daniela Wolfer konfrontiert und sie ging in den brodelnden Stuttgarter Talkessel, wo gefeiert, musiziert und am Puls der Zeit gelebt wird. Und da sie ein Ziel verfolgt und der pure Konsum des Nachtlebens ihr zu einfach erschien, wurde aus der Kunststudentin die DJane Dirty Daniela, die sich mit Plattenauflegen und Partymachen nicht nur ihren Lebensunterhalt verdient, sondern auch eine neue Quelle der künstlerischen Inspiration erschließt.
In der Hip-Hop- und Clubszene findet sie das Thema für ihre malerische Auseinandersetzung, die ihrem Anspruch an Authentizität und Credibility gerecht wird und gleichzeitig ihre Vorstellungen von Kunst und Leben erfüllt. Am Anfang stand, das Gesehene und Erlebte fotografisch festzuhalten. Es entstanden Fotos von Partypeople beim Feiern, von Hip-Hop-Stars hinter der Bühne und immer wieder von DJ-Kollegen bei der Arbeit. Fotoserien von DJs zeigen vor allem die Hände bei der Arbeit am Plattenteller und Mischpult. Diese Fotos offenbaren den geschulten Blick für das Wesentliche, das für sie das Nichtfaßbare ausmacht und werden Ausgangsmaterial für die weitere künstlerische Umsetzung. Daß es ihr nicht um das bloße malerische Abbild geht, wurde klar, als die ersten Bilder im Verkaufsraum des Stuttgarter Skater- und Streetwear-Ladens „Firma Bonn“ bunt verstreut zwischen dem Produktsortiment präsentiert wurden. Die Malerei auf Preßspanplatten zeigte Stuttgarts DJ-Prominenz in ausgelassener Partypose hinter ihren Plattentellern, umgeben von mehr oder weniger furchterregenden Wesen aus SciFi- oder Horrorfilmen. Diese Verquickung von realen und fiktiven Momenten macht sehr plakativ deutlich, daß es in diesen Bildern um die Darstellung von Stimmungen und Gefühlen geht, sie sind aber keine emotionale Nabelschau junger Menschen, sondern zeigen ganz allgemeine Befindlichkeiten, die jeden beim nachmitternächtlichen Besuch einer „Monsterparty“ mit „Mörderstimmung“ beschleichen kann und jeder, der einmal so eine Nacht durchlebt hat, weiß, daß der Spaß, den man haben kann, nicht von dieser Welt ist.
Nach diesem ersten, eher spielerischen Ansatz, sich ihrem Thema zu nähern und einem längeren New-York-Aufenthalt, den Wolfer auch zum Fotografieren, Plattenauflegen und Kontakteknüpfen nutzte, entwickelt sie in zwei Serien auf Papier stringente Kompositionsschemata. Der eine Block bezieht sich inhaltlich auf die Gruppe der Clubbesucher, sprich dem Publikum ihres wöchentlichen Hip-Hop-Events im Inner Rhythm Club, die formatfüllend in der sie umgebenden Location porträtiert werden. Diese farblich reduzierten Gouachen dokumentieren nicht nur das Styling von Partygängern und der Clubdekoration, sondern darüber hinaus den sozialen Kontext, in dem sich Wolfer bewegt. In diesem Block tauchen dann auch erste Selbstporträts auf. Der andere Block zeigt wiederum DJs, wobei hier eher grafisch abstrahiert die Porträts aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven ineinander verzahnt werden. Diese Blätter, in greller Farbigkeit und linearer Struktur gehalten, zeigen sowohl die ausgeprägt konzentrierte Mimik des DJs, als auch – auf dem selben Blatt – dessen stark vergrößerte und merkwürdig verzerrten Hände am Plattenspieler. Dazu kommen fokussierte Abbildungen von Tonabnehmern und Reglern, die dem Porträtierten wie Cyborg-Extremitäten anhaften. So entstehen dynamische Kompositionen mit stark psychedelischer Wirkung. In beiden Blocks werden die Vitalität der sogenannten Jugendkultur thematisiert, präzise auf soziale Phänomenologien eingegangen und differenzierte visuelle Umsetzungen und Codes entwickelt. Diese wiederum läßt Wolfer ganz gezielt in ihr soziales Umfeld zurückfließen, indem sie dieses Bildmaterial als Flyer für ihre Hip-Hop-Veranstaltungen tausendfach reproduziert, in die Szene streut oder für DJ-Kollege Thomilla die komplette Covergestaltung malerisch umsetzt. Dieser Umgang mit dem eigenen künstlerischen Werk ist auch von anderen Künstlern bekannt, so hat zum Beispiel Raymond Pettibon für die amerikanische Independent-Band „Blackflag“ Cover und Plakate gezeichnet. Durch das Verlassen des tradierten Kunstkontextes erreichen Pettibon wie Wolfer eine gezielte Positionierung Ihrer Werke in einem Kontext, der für die Rezeption der Arbeit von entscheidender Relevanz ist. Die Kunst nähert sich anderen Medien an, benutzt deren Strukturen und Mechanismen und führt so zu einem Crossover, das heißt der selbstreferenzielle Umgang der Medien wird unterwandert und erweitert.
Der subversive Ansatz in Wolfers Arbeit wird umso deutlicher, wenn man die Bilder für ihre erste Einzelausstellung in der Galerie Hammelehle und Ahrens betrachtet. Als Bildträger verwendet sie nicht etwa Papier oder Leinwand, sondern entscheidet sich für Aluminiumplatten. Diese halbglänzenden harten Oberflächen findet man oft als Gestaltungselement in Discos, vor allem Tanzflächen werden mit ihnen ausgelegt. Sie sind strapazierfähig, leicht zu reinigen und sehen sehr cool aus. Wie schon in den früheren Arbeiten sind DJs, Partygäste und sie selbst die Protagonisten, man findet auch wieder Figuren aus Comics, der Sesamstraße oder B-Movies. Auffallend ist, daß alle Elemente in den einzelnen Bildern durch abstrakt-flächig angelegte Farbfelder verbunden scheinen, wobei diese Flächen die Bildebene nicht komplett füllen, sondern Zonen bilden, Schwerpunkte setzen oder Klammern schaffen. Diese Flächen, die meist mit Sprühlack oder Effektfarben ausgeführt sind, schieben sich als Subkomposition zwischen die dargestellten Personen und Figuren und den Bildträger und verstärken so den scheinbar schwebenden Charakter der dargestellten Situation. Man fühlt sich an Benutzeroberflächen eines Computers erinnert, bei denen mehrere Ebenen des Systems hinter- und übereinander auf dem Bildschirm stehen. Die dargestellten Szenen operieren oft mit mehreren Fluchtpunkten und sequenzhaften Perspektiven, die den Effekt der Dynamik noch verstärken. Raum und Zeit scheinen komplett aufgelöst; oben und unten, vorne und hinten, rechts und links, sprich: die zur Orientierung dienenden Parameter sind verschoben. Dies muß nicht zwangsläufig in großes Chaos führen, sondern birgt eine gewisse Freiheit und Großzügigkeit, die sich nicht zuletzt im Duktus und Farbauftrag wiederspiegelt. Wolfer vermeidet jegliche Form von verkrampfter Pinselführung oder pingeliger Abklebetechnik. Diese Lässigkeit ist kein Ausdruck von Nachlässigkeit sondern beschreibt vielmehr eine Haltung, die man mit dem Verhältnis von klassischem Eiskunstlauf und Rollerblade-Wettbewerben vergleichen könnte. Es geht bei beiden Sportarten um die Erfüllung von Pflicht und Kür. Beim Eiskunstlauf findet man starre Normen und Regeln um erbrachte Leistungen zu bewerten. Dementsprechend verkrampft wirken oft die Beiträge der Teilnehmer. Der psychische Druck entlädt sich oft in Tränen nach der Darbietung. Betrachtet man sich im Gegensatz dazu die Veranstaltungen der „X-Games“, werden auf Skateboards und Inlineskates in der Halfpipe oder auf dem Freestyle-Parcours ganz entspannt Höchstleistungen vollbracht. Die olympischen Prinzipien „schneller, höher, weiter“ werden hier durch „hang loose“ und „have fun“ konterkariert. Es wird gezeigt, daß Leistung respektiert wird, aber sicherlich nicht alles ist.
Dieses Bewußtsein strahlen auch die Bilder von Daniela Wolfer aus. Sie entspringen einer Welt, in der MTV und Viva die Funktion von Zentralorganen übernommen haben, in der Computer sowohl Werkzeug, als auch Spielzeug sind, in der single gelebt, aber sozial gedacht und gefühlt wird. Wolfer collagiert in ihren Bildern Dinge und Begebenheiten, die für die Generation des 70er Jahrgangs wichtig und prägend ist. Sie kombiniert Triviales mit großen Gesten und Gefühlen, setzt ausgewogene Flächen in bezug zu exaltierten Bewegungen. In den Farben, die eigentlich der Mode vorbehalten sind, zeigt sie uns die tiefere Bedeutung des Werbeslogans „Just be“.
Pressemitteilung zur Einzelausstellung in der Galerie Hammelehle und Ahrens, Stuttgart 2000